„Beim Durchlesen der Berichte der unteren Organe der Polizei fällt oft der völlige Mangel an logischem Denkvermögen auf; Fehlschlüsse über Fehlschlüsse! Man kann ihnen aber gar keine Vorwürfe machen, denn Logik ist ihnen auf keiner Schule und in keinem Unterrichtskurs beigebracht worden. Und wie viele Lehrer solcher Schulen wären zu entdecken, die mit der Logik selbst auf gespanntem Fuße stehen! Wir modernen Zeitgenossen denken viel weniger intensiv als unsere Vorfahren. Die Hast und die gesteigerte alltägliche Interessenpolitik, verbunden mit dem ständigen Daseinskampf, haben uns oberflächlich werden lassen. Kriminalistische Werke, die vor fünfzig und hundert Jahren entstanden sind, kennt man nicht, oder man ist geneigt, sie als veraltet beiseite zu legen, und oft kommt einem der Gedanke, daß wir heute in manchen kriminalistischen Büchern etwas Neues vorgetragen erhalten, was tatsächlich schon in jenen literarischen Altertümern enthalten war.“
(aus dem Vorwort zur Erstausgabe, 1927)
Eine ungekürzte Neuausgabe des Originals von 1927 mit
Erläuterungen, einer historischen Einordnung und einer kritischen zeitgenössischen Replik zu den Grenzen logischer Schlussfolgerungskunst.
"Die Suche nach historischer Literatur zum Thema „Kriminalistisches Denken“ führt in das Berlin der Weimarer Republik; in den 1920er Jahren erschienen zwei Bücher, die das Thema explizit in ihrem Titel trugen. Eines davon war Lothar Philipps „Kriminalistische Denklehre“. Dieses und ein weiteres, 1921 publiziertes Werk, werden bis heute vorrangig zitiert, wenn es um die Anfänge professionellen Kriminalistischen Denkens geht. Beide Bücher sind seit vielen Jahren vergriffen; insbesondere zu Philipps Werk liegen wenige Daten vor; dabei dringt er tief in die Materie ein, wirft nicht nur Fragen zu einer Kriminalphilosophie auf, sondern betont den bis heute aktuellen Aspekt, dass Kriminalistisches Denken universell ist.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich dazu entschieden, den Titel als kommentierte Neuausgabe herauszugeben. Wie ich im Einzelnen vorgegangen bin, ergibt sich aus den Materialien im Anhang der Neuausgabe, in der ich mit einem Überblick über die Geschichte der Berliner Kriminalpolizei in der Weimarer Republik auch einen Versuch gemacht habe, Philipps Werk historisch einzuordnen. Eine zeitgenössische Kritik des Psychoanalytikers Theodor Reik, die sich in Teilen explizit auf Philipps „Denklehre“ bezieht, habe ich ebenfalls aufgenommen. Außerdem habe ich tabellarische Übersichten zu den Kernthesen von Philipp und Reik erarbeitet, die den Ansatz für eine weitere wissenschaftliche Bearbeitung des Themas und die Basis für eine kritische Diskussion bieten sollen."
Philipps Buch ist ein historisches Dokument über die Anfänge des Kriminalistischen Denkens in der deutschen Polizei, das auch mehr als neunzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen lesenswert ist.